Rezension: Eva Witzel: Die Konstitution der Dinge. Phänomene der Abstraktion bei Andreas Gursky

   erschienen im transcript Verlag Bielefeld 2012

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Teil 2: Bemerkungen zum Œuvre von Andreas Gursky

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Die Autorin erkennt in den Arbeiten Gurskys drei Strukturkategorien: Das Abstrahierende und das Ornamentale, das Konstruktive und das Ornament und die Abstraktion durch Anschauung.

Das Abstrahierende und das Ornamentale

Mit sieben Prinzipien erläutert sie diese Strukturkategorie. Zu Beginn seiner Laufbahn überwiegt bei Gursky oftmals der Zufallsblick. Ab etwa 1984 löst er sich zwar von seinen Lehrern Bernd und Hilla Becher. Aber seine Bilder sind doch noch sehr zufallsbedingt. Die Aufnahme Ratingen, Sonntagsspaziergänger 1984 zeigt eine solche spontane, alltägliche Szene. Das Besondere dieser Situation ist ihre Banalität. Trotzdem wird die Situation durch die kompositorische Eingrenzung zu einem bildwürdigen Gegenstand. Ähnlich wirkt die Fotografie Düsseldorf Flughafen, Sonntagsspaziergänger 1985. In der Rückenansicht der Spaziergänger erkennt Michael Fried das Prinzip der Antitheatralität.

Zwischen 1989 und 1994 setzt sich Gursky verstärkt mit der Horizontalität im Landschaftsbild auseinander. So greift er in Düsseldorf, Volksgarten 1989 eine horizontale Teilung des Bildgeschehens auf. Noch deutlicher wird das in Sha Tin 1994. Streifenförmig baut sich das Bildmotiv von unten nach oben auf. Über die gestaffelte Zuschauergalerie hinweg schaut der Betrachter auf eine Pferderennbahn. Das Rennen selbst ist nicht direkt erkennbar, sondern nur auf einer großen Videoleinwand. Gursky bedient sich hier des Prinzips des Bildes im Bild.

Die Autorin führt zu dieser Bildkategorie aus: „Im Hinblick auf die dargelegten formalen Bildeigenschaften kann von einem Prozess der Abstrahierung gesprochen werden, da die horizontal geprägte Komposition in Konkurrenz zum Motiv tritt. Die vom Menschen bereits geometrisch strukturierte und geplante Landschaft wird durch Gurskys frontale, angeschnittene und die Flächen betonende Bildsicht nochmals verstärkt und in ein ästhetisches Formgefüge überführt.

Ende der 80er-Jahre sind einige Aufnahmen Gurskys durch steile Architekturperspektiven gekennzeichnet. Beispiele dazu sind Bochum Uni 1988, Ruhrtal 1989, Duisburg Brücke 1989. Man erkennt, dass Gursky die Bildparallelität aufgehoben hat zugunsten dynamischer Perspektivfluchten. Je nach Kombination und Größenverhältnis von Mensch, Natur und Technik erhalten die Aufnahmen unterschiedliche atmosphärische Bedingungen und Charaktere.

Erste ornamentale Anzeichen treten bei Gursky in Ratingen, Schwimmbad 1987 und Teneriffa, Schwimmbad 1987 auf.

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Das Konstruktive und das Ornament

Anhand von sieben Ordnungskriterien führt sie in die Kategorie das Konstruktive und das Ornament beginnend etwa um 1990 ein. Dazu schreibt sie: „Zur zweiten Strukturkategorie werden nun jene Fotografien gezählt, in denen Struktursystem und Motiv nicht nur in Konkurrenz zueinander treten, sondern in denen sich das fotografische Abbild, der Motivinhalt, dem kompositionellen Gestaltungsgefüge, dem Zusammenspiel von Form- und Farbzusammenhängen, unterordnet.

Diese sieben Ordnungskriterien sind: Konstruktion im Innenraum, Konstruktion Außenarchitektur, All-over im Innenraum, Over-all, Geometrisierung, Hyperordnung und Konstellation. Schauen wir uns dazu Beispiele an.

Konstruktion im Innenraum

Anfang der 90er Jahre bezieht Gursky neben Landschaften auch den Innenraum in seine fotografische Arbeit mit ein. Eine erste Arbeit stellt die Fotografie Karlsruhe Siemens 1991 dar. Eine ähnliche Raumkomposition zeigen Nürnberg, Grundig 1993 und Rastatt, Mercedes 1993.

Die Autorin sieht in diesen Beispielen die bewusste Suche Gurskys nach einem Bild, das Phänomene unserer sozialen, kulturellen oder technischen Gegenwart als überindividuelle Dimensionen erfahrbar machen soll. Sie unterscheidet eine Makrostruktur und eine Mikrostruktur. Die Makrostruktur ist hier gleichzusetzen mit der Hinführung der Werke „in ein ästhetisch verdichtetes System, welches sich aus der Strukturierung der Bildelemente sowie einer strengen Formalisierung der Farben und Formen ergibt”, wie es Gursky selbst ausdrückt.

In der sog. Mikrostruktur hingegen werden Zustände bzw. Erscheinungsformen der uns umgebenden Welt und des darin lebenden Menschen dargelegt. Da die Fotografie per se ein abbildendes Medium ist, müssen diese Strukturen gesucht und gefunden werden. Die rythmischen Formwiederholungen z.B. in Karlsruhe Siemens 1991 werden durch die Anordnung der Tische, Kassetten oder Kabelrollen erzeugt, man kann deshalb auch von dem Prinzip der rhythmischen Gliederung und dem Moment der Wiederholung sprechen.

Konstruktion Außenarchitektur

Dieses Prinzip wendet Gurky ebenfalls in Aufnahmen an, die außenarchitektonische Konstruktionen in den Blick nehmen. Auch das System der Mikro- und Makrostruktur wird weiter verstärkt. In der Fotografie Paris, Montparnasse von 1993 wird durch eine horizontale Dreiteilung eine Strukturierung in der Horizontalen erreicht, die in Korrespondenz zu den  vertikalen Fensterläufen steht. Gursky setzt hier zwei Aufnahmen zusammen und erreicht dadurch eine komprimierte Darstellung des Gebäudes. Mit der horizontal-vertikalen Struktur verfügt die Aufnahme in der Makrostruktur über eine geometrisierte Formen-sprache.

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All-over im Innenraum

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