Rezension zu dem Bildband „Lichtbild und Datenbild – Spuren Konkreter Fotografie“.

Hsgb.: Henrike Holsing, Gottfried Jäger. Erschienen im Kehrer-Verlag Heidelberg, Berlin, Museum im Kulturspeicher Würzburg 2015

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Mit dem Bildband „Lichtbild und Datenbild – Spuren Konkreter Fotografie“ und der gleichnamigen Ausstellung im Museum im Kulturspeicher Würzburg ausgehend von Bildern aus der Stiftung und Sammlung Peter C. Ruppert „Konkrete Kunst in Europa 1945“, die 2015 stattfand, legen die Herausgeber Henrike Holsing und Gottfried Jäger wie die 45 Autoren, eine längst überfällige Klärung und Stellungnahme der Konkreten Fotografie zur digitalen Fotografie vor.

In diversen Werken werden von den Künstlern Positionen zur Konkreten Fotografie bezogen darunter sind so klangvolle Namen wie Thomas Ruff, Otto Steinert, René Mächler oder Wolfgang Tillmans.

Wer Konkrete Fotografie meint, spricht zunächst von einem Herstellverfahren, das die Kamera, bis dato das unverzichtbare Werkzeug eines jeden Fotografen, nicht mehr benötigt. Das Foto, Referenz einer realen Sache, wird aufgegeben zugunsten einer Selbstreferenz, also einer Referenz auf sich selbst.

Wenn das konkrete Foto aber nichts mehr abbildet, nichts mehr zitiert, wie der Theoretiker sagt, was ist es dann? In Analogie zur abstrakten Malerei ist ein abstraktes Foto nur noch einer gewissen Ästhetik verpflichtet. Das Herstellverfahren benötigt nur noch Licht und eine lichtempfindliche Schicht. Das Licht hinterlässt eine Spur im Fotopapier, das nur noch entwickelt und fixiert werden muss. Die diversen Spielarten der Konkreten Fotografie wie Fotogramme, Rayogramme u.a. zeugen von diesem Prozess.

Stellt sich die Frage, ob der Herstellprozess das entscheidende Momentum der Konkreten Fotografie ist?

Interessant nun eine Anmerkung von Hans Spörl, der in München an der 1900 gegründeten „Lehr- und Versuchsanstalt für Photographie“ unterrichtete: Von diesem Gesichtspunkt aus, hielt er es für völlig gleichgültig, ob ein Kunstwerk durch Malerei oder Fotografie entstehe. Die Frage der Mittel wurde sogar ganz abgetan. Auf unsere Frage übertragen, dürfte es also keine Rolle spielen, wie das Bild entstanden ist, ob als Lichtbild oder Datenbild.

Ob man nun ein Datenbild als Konkrete Fotografie bezeichnen will, kann man trotzdem kontrovers diskutieren.

Gottfried Jäger, Protagonist der Konkreten Fotografie, verweist in seinem Beitrag „Spuren der konkreten Fotografie“ auf die Anfänge der Konkreten Fotografie, die er bei dem deutschen Philosophen Konrad Fiedler (1841 – 1895) sieht, der in seinen Gedanken zur „Sichtbarkeit des Bildes“ 1887 schon Stellung bezug, auch wenn der Begriff Konkrete Fotografie noch nicht existierte. Fiedler entwarf nach Jäger einen Bildbegriff, „in dem die Formen des Bildes gegenüber der Schönheits- wie auch der Erkenntnisfunktion autonom sind.“

Fiedler drückte das so aus: „…dass etwas hervorgebracht wird, was nur um seiner Sichtbarkeit willen vorhanden zu sein scheint.“

Damit war nach Jäger die Formel für ein neues Bildverständnis gefunden: die Sichtbarkeit des Bildes! Weder die Abbildung des Sichtbaren, noch die Sichtbarmachung des Nichtsichtbaren, noch die Reflexion von Sichtweisen – allein die Herstellung von Sichtbarkeit sollte das Bild begründen.

Bis dahin waren und sind Konkrete Fotografien wie selbstverständlich analoge Lichtbilder – ganz unabhängig von ihrem Auftreten in gegenständlicher oder abstrakter Form.

Den Unterschied von analoger zu digitaler Fotografie möchte ich an dieser Stelle nicht ausbreiten. Er sollte in unserer digitalen Welt bekannt sein.

Eines aber ist für das Bildverständnis evident: Das ist die Möglichkeit der digitalen Nachbearbeitung mittels elektronischer Bildbearbeitung. Manipulationen am Bild gab es auch schon in der analogen Dunkelkammer.

Die „digitale“ Dunkelkammer geht in ihren Bearbeitungsmöglichkeiten weit über die analoge Dunkelkammer hinaus und schafft damit fast unbegrenzte Möglichkeiten kreativer Bilderfindungen.

Das Entscheidende zur Konkreten Fotografie ist allerdings, dass zur Bilderfindung im Computer nicht einmal mehr Licht, die entscheidende Zutat der Konkreten Fotografie, benötigt wird. An die Stelle des Lichts tritt ein mathematischer Algorithmus, dessen Anfänge in den 60er Jahren mit dem Begriff der Computergrafik in die Kunstszene eingeführt wurde. Selbst der Druckprozess benötigt kein Licht mehr, wenn man statt einer Ausbelichtung die Druckausgabe auf einem Tinten-strahldrucker nutzt.

Mit der „richtigen“ Software lassen sich heute fotorealistische Szenen generieren. Jurassic Park ist ein Beispiel dafür.

Die Herausgeberin Henrike Holsing spricht in ihrem eigenen Beitrag von Kamera und Dunkelkammer als die Fetische der Vergangenheit, betont aber, dass sich Künstler zu allen Zeiten ungern in eine Schublade und sei es die der Konkreten Fotografie zwängen lassen. So lässt sich bei dem einen oder anderen Künstler auch nicht mehr eindeutig ausmachen, was er da gerade macht. So fragt Dirk Koppelberg, was an den Arbeiten von Christiane Feser Konkrete Malerei, Fotografie Konkreter Malerei, Simulation Konkreter Kunst im Medium der Fotografie oder mit den Mitteln der Fotografie betriebene Analyse Konkreter Kunst sei.

Was aber ist Konkrete Fotografie im digitalen Zeitalter, wenn der Herstellprozess ein völliger anderer ist, wenn digitale Verfremdung und Bilderzeugung wie selbstverständlich dazugehören?

Neben dem Begriff der Konkreten Fotografie hat sich der Begriff Generative Fotografie einen Platz geschaffen, wenn es von vorne herein um die Bilderfindung mittels Computer geht. Und auch hier findet sich wiederum Gottfried Jäger, dessen Programm es war, bildgebende Fotografie auf systematisch-konstruktiver Basis zu erforschen und eine Computerästhetik zu begründen wie sie der Kunsttheoretiker Herbert W. Franke in seiner Kybernetischen Ästhetik bereits beschwor. Begriffe wie Informationstheorie, Generative Grammatik und allgemein das Verhältnis von Automat und Mensch erlangen Bedeutung. Die Generative Fotografie entwickelt sich zu einem Teilgebiet der Konkreten Fotografie. Ihre Besonderheit liegt in ihrer Nähe zu Algorithmen und Computerprogramm. Damit stellt sie konzeptionell und methodisch ein Verbindungsglied zur Computerkunst dar – und damit eine Brücke zwischen Lichtbild und Datenbild, gleichwohl halten die digitalen Bilder Anschluss an das Fotografische und zehren von seinen Eigenschaften (zitiert nach Gottfried Jäger): „Sie greifen einzelne  Parameter eines Fotos auf und entwickeln sie fort. Sie spielen mit seinen Mitteln, die sich verselbständigen und die aus den gewonnenen Algorithmen der fotografischen Vorlagen heraus ein Eigenleben zu führen beginnen. Dabei entstehen Formen, die sichtbar keinen Zusammenhang mit dem Ausgangsfoto mehr erkennen lassen. Erst eine „Zeichenerklärung“ könnte entsprechende Bezüge offenlegen. Es sind Spurbilder, Spuren des Fotografischen, die hier entstehen.“

So kann man also feststellen und festhalten, dass Konkrete Fotografie eine Geisteshaltung beschreibt, eine grundsätzliche Autonomie und Selbstbezüglichkeit des Kunstwerks, die den Betrachter in der Auseinandersetzung auf sich selbst zurückwirft, da sie ihm den Rückgriff auf außerbildliche Anker in seinem Erfahrungsschatz verweigert. Es gehe, so führt Henrike Holsing aus, um die formale Reduktion und der berühmten „Transparenz“ des Fotos mit seiner Durchlässigkeit auf die Welt seiner eigenen Objekthaftigkeit.

Bleibt als Quintessenz die Erkenntnis, dass sich Konkrete Fotografie und digitale Fotografie offensichtlich nicht ausschließen. Die im Computer entstandenen, auf Algorithmen basierenden Bilder, sind „fotoähnliche und fotobasierte Konstruktionen und Simulationen, die sich vom Vorbild „Foto“ lösen und eine eigene ästhetische Entität verwirklichen.“

Wolfgang Ahrens, im Dezember 2015

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