Was eigentlich ist Konkrete/Abstrakte Fotografie?

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Gottfried Jäger, emeritierter Professor für Fotografie/Film an der Fachhochschule Bielefeld mit den Lehrgebieten Künstlerische Grundlagen der Fotografie, Fotografik und Generative Bildsysteme, hat durch seine vielfätigen Arbeiten wesentlich dazu beigetragen, dass die Konkrete/Abstrakte/Generative Fotografie den ihr zustehenden Stellenwert erhalten hat. 2002 würdigte ihn die FH Bielefeld anlässlich seiner Emeritierung: “Durch seine Arbeit und Arbeiten hat Jäger entscheidend dazu beigetragen, dass die Fotografie gleichrangig mit den Künsten Malerei und Bildhauerei genannt wird. Den Anspruch der Fotografie als Kunstform prägte er bereits 1968 mit dem Begriff ‚Generative Fotografie’, der für eine systematisch-konstruktive Richtung in der künstlerischen Fotografie steht.

Was aber ist Konkrete/Abstrakte/Generative/Subjektive Fotografie?

Wikipedia definiert Konkrete Fotografie wie folgt: “Als Konkrete Fotografie wird (im Gegensatz zum Begriff Abstrakte Fotografie) in der modernen und zeitgenössischen Kunst eine Fotografie bezeichnet, in der der fotografische Prozess und die Fotografie als Objekt selbst in den Vordergrund treten. Die Abbildung von Gegenständen oder Personen, wie sie in der dokumentarischen oder inszenierten Fotografie wesentlich ist, wird hierbei zweitrangig. Die Konkrete Fotografie ist damit ein Teilgebiet der Konkreten Kunst und tritt neben andere ihrer Teilgebiete wie Konkrete Malerei, Konkrete Musik oder Konkrete Poesie.

Fotografien, die als Konkrete Fotografie bezeichnet werden können, sind seit Anfang des 20. Jahrhunderts bekannt – der Begriff selbst aber wurde 1967 erstmals benutzt und als Bezeichnung einer eigenständigen Kunstgattung etabliert. Konkrete Fotografien sind „reine“ Fotografien. Sie thematisieren und realisieren „sich selbst“ und finden ihre Gegenstände ausschließlich in ihren eigenen, innerbildlichen Gesetzmäßigkeiten. Sie wollen nicht „sichtbar machen“, sondern nur „sichtbar sein“. Ihr Merkmal ist die Selbstbezüglichkeit. Dabei greifen sie auf die ureigensten Mittel der Fotografie zurück: das Licht, ihre besonderen lichtempfindlichen Materialien, ihre generativen Prozesse, den Apparat. Es entstehen eigenständige, nicht gegenständliche Fotografien eigener Art, Objekte ihrer selbst, Fotografien der Fotografie. Ausschnitt aus Gottfried Jägers Artikel zur Konkreten Fotografie, Fassung 24.8.2004: “Konkrete Fotografie bedeutet: Konkretisierung der Fotografie, eine Art elementarer künstlerischer Selbstbetrachtung und Selbstreflexion mit dem Ziel, den Blick für die eigenen Verhältnisse zu schärfen. Dabei werden die fotografischen Mittel zum fotografischen Gegenstand, das Medium zum Objekt.

Einen schönen Überblick über die Konkrete Fotografie gibt der Bildband Am Nullpunkt der Fotografie von René Mächler /11/.

Subjektive Fotografie wurde von Otto Steinert, einem Mitglied der Gruppe Fotoform, zu Beginn der 1950er Jahre begründet. Sie verstand sich ausdrücklich als künstlerische Fotografie. Hauptinteresse war vor allem Experimentelle Fotografie. Die Subjektive Fotografie will nicht die objektive Wirklichkeit einer Situation wiedergeben, sondern nur deren bildhafte Deutung, eine subjektive Interpretation des Betrachters ist nötig und dessen Phantasie gefordert. Die Subjektive Fotografie liefert vor allem schwarz-weiß-Aufnahmen und drückt sich meist durch abstrakte Formen, graphische Strukturen, Linien von Licht und Schatten aus.

Weitere Merkmale sind kontrastreiche Abzüge, radikale Ausschnitte, surreal wirkende Situationen, aber auch Negativabzüge oder Solarisationen. Die Traditionen und Ideen innerhalb der Subjektive Fotografie reichen bis in die Zeit des Bauhaus zurück, noch heute fühlen sich Künstler dieses Feldes der Fotografie damit verbunden. Durch die Subjektive Fotografie bekam die Fotografie nach dem Zweiten Weltkrieg wieder eine größere künstlerische Legitimation, die ihr zuvor durch rein dokumentarische und die Life-Fotografie abhandenkommen war. Die Gruppe Fotoform organisierte 1951 die erste Ausstellung der Subjektiven Fotografie in Saarbrücken. Diese fand sogleich international große Beachtung. Die Subjektive Fotografie schaffte es, das Interesse eines breiteren Publikums zu wecken.

Der deutsche Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770 – 1831) hat sich in seiner Philosophie auch Gedanken über die Ästhetik gemacht und sieht wie viele andere auch (Goethe, v. Humboldt, Marx) die griechische Ästhetik als die unwiederbringliche, höchste Vollendung der Kulturentwicklung. Darüber lässt sich trefflich streiten, findet doch die Renaissance mit den überragenden Künstlern wie Michelangelo, Leonardo da Vinci, Tizian oder Donatello um nur einige zu nennen, zu vergleichbarer Ästhetik. Kriterium ist dann nur noch die Ästhetik des Bildes.

Ästhetik (vom Altgriechischen „Wahrnehmung“, „Empfindung“) war bis zum 19. Jahrhundert vor allem die Lehre von der wahrnehmbaren Schönheit, von Gesetzmäßigkeiten und Harmonie in der Natur und Kunst.

Die antike, griechische Kultur hat wie kaum eine andere unsere westliche Welt geprägt und zwar auf allen Feldern der Philosophie, der Mathematik, insbesondere auch in der Politik und Rechts-wissenschaften. Nur am Rande bemerkt, die philosophische Ästhetik geht immer gepaart mit der Ethik einher. Das sollte jedem Fotografen stets bewusst sein.

Ästhetik bedeutet heute wörtlich: Lehre von der Wahrnehmung bzw. vom sinnlichen Anschauen. Ästhetisch ist demnach alles, was unsere Sinne bewegt, wenn wir es betrachten: Schönes, Hässliches, Angenehmes und Unangenehmes. Eine Lehre, die sich nur mit schönen Dingen beschäftigt, heißt Kallistik.

.Mit dem Portfolio zur Konkreten Fotografie möchten wir, Dieter Rüge und Wolfgang Ahrens, eine kleine Auswahl von Arbeiten vorlegen, bei denen es nicht vorrangig mehr um die Abbildung von Motiven, auch nicht um eine Abstraktion derselben geht. Gleichwohl ist das Ausgangsmaterial stets eine Fotografie. Die Weiterbearbeitung mit Photoshop, also die elektronische Bildbearbeitung, hat zum Ziel, die Bindung zum Motiv möglichst aufzuheben und ein eigenständiges Bild zu kreieren.

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Wir wünschen viel Spaß mit den Portfolios.
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Wolfgang Ahrens.                               Dieter Rüge
im Oktober 2015

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