Persönlichkeitsrecht vs. Freiheit der Kunst

 

Neueste Äußerungen des Bundesverfassungs-gerichts

Das Persönlichkeitsrecht, hier im Sinne des Rechts auf das eigene Bild, sowie die Freiheit der Kunst (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) sind vom Grundgesetz geschützte Grundrechte, die eigentlich unkritisch sind, solange es nicht zu Konflikten zwischen beiden Grundrechten kommt. Beim Recht am eigenen Bild handelt es sich um einen Sonderfall des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung, welches in Art. 2 des Grundgesetzes verankert ist. So gibt es immer wieder Auseinandersetzungen zwischen dem Abgelichteten, der sich auf sein Recht am eigenen Bild, und dem Fotografen, der sich auf die Freiheit der Kunst beruft. Immer mehr Menschen fühlen sich in ihrem Persönlichkeitsrecht verletzt, wenn ein Fotograf sie ohne Erlaubnis ablichtet und veröffentlicht, obwohl man den Eindruck gewinnen muss, dass dies immer weniger Menschen interessiert, wenn man an das unsägliche Fotografieren von Verletzten bei Unfällen denkt.

Grundsätzlich, so die Ausführungen des Verfassungsgerichts, sei die Einwilligung der fotografierten Person zur Veröffentlichung ihres Bildnisses gemäß § 22 Satz 1 Kunsturhebergesetz (KUG) erforderlich.

§ 23 schränkt aber diesen allgemeinen Grundsatz schon wieder ein:

(1) Ohne die nach § 22 erforderliche Einwilligung dürfen verbreitet und zur Schau gestellt werden:

 

1. Bildnisse aus dem Bereiche der Zeitgeschichte; 
2. Bilder, auf denen die Personen nur als Beiwerk neben einer Land-schaft oder sonstigen Örtlichkeit erscheinen;  
3. Bilder von Versammlungen, Aufzügen und ähnlichen Vorgängen, an denen die dargestellten Personen teilgenommen haben; 
4. Bildnisse, die nicht auf Bestellung angefertigt sind, sofern die Ver-breitung oder Schaustellung einem höheren Interesse der Kunst dient.
(2) Die Befugnis erstreckt sich jedoch nicht auf eine Verbreitung und Schaustellung, durch die ein berechtigtes Interesse des Abgebildeten oder, falls dieser verstorben ist, seiner Angehörigen verletzt wird.

 

Der Fall: Ostkreuz.Westwärts. Neue Sicht auf Charlottenburg
Ausgangspunkt der hier vorgestellten Äußerungen des Bundesverfassungsgerichts war eine Aktion der Künstlervereinigung Ostkreuz, Berlin. 2010 präsentierten die OSTKREUZ-Fotografen in der Ausstellung „Die Stadt. Vom Werden und Vergehen“ bei C/O Berlin die unterschiedlichen Formen und Entwicklungen urbanen Lebens weltweit. Die aktuelle Ausstellung „Westwärts“ greift diese Thematik auf, fokussiert sich dabei jedoch auf lokale Strukturen. Sie umfasst ca. 100 Fotografien in Schwarz/Weiß und Farbe und wurde von Felix Hoffmann kuratiert.

Zoo, Bahnhof, Universitäten, Boulevards, Straßenstrich, Luxus, Touristenattraktionen und Armut – alles zeitgleich auf einem Quadratkilometer. Was für Kontraste! Was für ein Sehnsuchtsort! Das westliche Charlottenburg ist seit jeher geprägt von geschäftiger Dynamik und parallelen Lebenswelten. Ein ewig menschlicher Fluss und urbaner Parcour ohne wirkliche Begegungen. Hier läuft jeder nebeneinander her und sucht im Slalom seinen Freiraum. C/O Berlin hat 13 Fotografen der Agentur OSTKREUZ gebeten, Charlottenburg und seine Bewohner zu erkunden sowie die vielfältigen Geschichten und soziale Schichten hinter dem hektischen Treiben und den Fassaden freizulegen.

Espen Eichhöfer, einer der 13 Fotografen, war sich bewusst, dass er mit seinem Bild einer Frau im Getümmel einer vielfrequentierten Straße fotografiert und dessen prominenter Veröffentlichung u. U. die Grenze zwischen Persönlichkeitsrecht und Kunstfreiheit überschreiten würde. Was zu erwarten war, passierte dann auch. Die Frau zeigte ihn an und klagte auf Erstattung ihrer Rechtsanwaltskosten, Schmerzensgeld und einer Lizenzgebühr.

Eichhöfer beschloss, es darauf ankommen zu lassen. Er unterzeichnete zwar die Unterlassungserklärung, die die konkrete Ausstellung am C/O Berlin betraf, alles Weitere wollte er jedoch vor Gericht durchfechten. Das Geld dafür sammelte er mittels Crowdfunding. Durch alle Instanzen der Berliner Justiz verlor er. Die Frau bekam allerdings nur ihre Rechtsanwaltskosten erstattet.

Nun könnte man meinen, gut so, es kann ja auch nicht sein, dass jeder jederzeit ungewollt Gegenstand von Kunst wird. Das ist aber genau nicht der Inhalt des Kammergerichtsurteils. Das Kammergericht hatte nichts gegen die Ablichtung der Frau, wie deren Zurschaustellung einzuwenden. Einzig der Umstand, dass die Frau so prominent an einer vielbefahrenen Straße präsentiert wurde, führte zu dem Urteil.

Nun wurde der Einspruch beim Bundesverfassungsgericht eingereicht. Das Bundesverfassungsgericht nahm aber die Beschwerde erst garnicht an – schade, könnte man meinen, dennoch war es ein Gewinn für die Straßenfotografie, denn das Verfassungsgericht begründete seine Entscheidung, was es bei Ablehnung normalerweise nicht tut. Und diese Begründung enthält einige wertvolle Hinweise für Straßenfotografen.

Eichhöfers Anwalt Sebastian Graalfs sieht in dem Ergebnis immerhin einen Teilerfolg. „Grundsätzlich ist das für diese Kunstform eine gute Nachricht, weil man sich auf diesen Beschluss berufen kann.“ Das Verfassungsgericht stellt nämlich fest, dass „die ungestellte Abbildung von Personen ohne vorherige Einwilligung“ für die Straßenfotografie „strukturtypisch“ sei. Und begründet weiter: „Es ist gerade Ziel der Straßenfotografie, die Realität unverfälscht abzubilden, wobei das spezifisch Künstlerische in der bewussten Auswahl des Realitätsausschnitts und der Gestaltung mit fotografischen Mitteln zum Ausdruck kommt.“ Damit ist das Foto als Kunstwerk definiert und darf sich grundsätzlich einmal auf die Kunstfreiheit berufen, es darf angefertigt, ausgestellt und auch außerhalb von Museen und Galerien gezeigt werden.

Wolfgang Ahrens, im Mai 2018