Rezension zu dem Bildband „Konkrete Kunst in Europa nach 1945 – die Sammlung Peter C. Ruppert“

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Der Bildband wurde zur Eröffnung des Museums im Kulturspeicher in Würzbuch 2002 vom Hatje Cantz Verlag aufgelegt, ist aber inzwischen völlig vergriffen. Er zeigt Bilder der Konkreten Kunst in Europa nach 1945 aus der Sammlung Peter C. Ruppert.

Mit dem Museum im Kulturspeicher hat die Konkrete Kunst seitdem einen würdigen Rahmen gefunden. Aus einem alten Hafenspeicher wurde ein reizvolles modernes Museum. Wie Dr. Edmund Stoiber zur Eröffnung sagte, kann die Sammlung Ruppert nun ihre ganze Strahlkraft weit über Franken hinaus entfalten.

Konkrete Kunst umfasst auch die Konkrete Fotografie.

Walter Schwimmer, Generalsekretär des Europarates, schlug in seiner Laudatio die Brücke zu anderen Städten wie Zürich und Paris: „Beispielhaft spiegelt sich in der Sammlung die Ausbreitung einer künstlerischen Idee über nationale Grenzen hinaus, nämlich der Gedanke, eine Kunst zu schaffen, die mit ihren Fragen nach Dynamik und Ruhe, Gleichgewicht und Spannung, Zufall und Ordnung, Spontaneität und Berechenbarkeit Grundfragen des Lebens repräsentiert, ohne ein Abbild der sichtbaren Welt zu geben. Die Einlösung dieses Anspruchs zeigt sich in der Sammlung an etwa 245 Werken: Gemälden, Reliefs, Plastiken. In ihrem Kern ist diese Kunst zutiefst human aus dem Ansatz heraus, das moderne Design zu interpretieren und auch dem alltäglichen Leben Form zu geben.

Mit der Präsentation im Kulturspeicher Würzburg tritt die Sammlung Ruppert erstmals an die Öffentlichkeit. Sie repräsentiert fast 30 Jahre Sammeltätigkeit. Für den Privatmann Peter C. Ruppert und seine Frau Rosemarie ging es von vornherein um Konkrete Kunst als eine Richtung der Kunst des 20. Jahrhunderts.

Seit rund hundert Jahren existiert diese Kunstrichtung, die auf mathematischem Denken und geometrischen Formen beruht und für die Theo van Doesburg schon in den 1920er Jahren den Begriff der »konkreten Kunst« gefunden hat, den Max Bill nach dem Zweiten Weltkrieg für die gesamte Kunstrichtung etablierte.

Zum ersten Mal werden hier die geistigen Wurzeln dieser Kunst im internationalen Zusammenhang untersucht. Die Theosophie beeinflusste Piet Mondrian ebenso, wie die religiöse orthodoxe Philosophie und Ikonenmalerei Grundlagen für Kasimir Malewitsch waren. Naturwissenschaftliches Denken prägte Bauhaus-Meister wie den Ungarn Moholy-Nagy. Keine andere Stilrichtung in der Moderne ist in den Selbstzeugnissen der Künstler so intensiv durch theoretische Reflexionen und Anleihen aus der Philosophie abgesichert und überhöht worden wie die Konkrete Kunst. Dies war nicht zuletzt der Versuch, einer im Chaos von Revolutionen und Kriegen versinkenden Welt auch in der Kunst ein Modell der Rationalität entgegenzusetzen und daraus eine neue gesellschaftliche Rolle abzuleiten.

Die „Sammlung Peter C. Ruppert – Konkrete Kunst in Europa nach 1945“ ist bislang die einzige Sammlung Konkreter Kunst, in die auch Fotografie mit eingebunden ist. Diese Form der kameralosen, ungegenständlichen Fotografie hat sich von der äußeren Wirklichkeit und ihrem Abbild gelöst. Statt dessen konzentriert sie sich auf die spezifischen Möglichkeiten des Mediums Fotografie. Sie gestaltet und malt Bilder mit Licht und Schatten, den industriell normierten Farben der Farbfotografie (= Fotogramme, Luminogramme) oder sie nutzt zur Formbildung die chemischen Prozesse der Filmentwicklung (= Chemigramme).

Ausgehend von den 1950er Jahren bis hin zur Gegenwart, werden unterschiedliche fotografische Verfahren, Konzepte und Bildlösungen vorgestellt. Sie weisen eine Nähe auf zu den Gestaltungsprinzipien der Konkreten Kunst oder sie entwickeln aus den medialen Bedingungen der Fotografie gänzlich neue. Vertreten sind in der Ausstellung Fotografien aus verschiedenen Ländern Europas: u.a. Kilian Breier, Pierre Cordier, Inge Dick, Adam Fuss, Franco Grignani, Heinrich Heidersberger, Gottfried Jäger, Peter Keetman, René MächlerOtto Steinert, Wolfgang Tillmans und Luigi Veronesi.

Als Standardwerk wird die Publikation „Konkrete Fotografie“ von Gottfried Jäger/Rolf H.Kraus/Beate Reese gehandelt, darin auch ein Beitrag von Beate Reese über „Konkrete Fotografie in der Sammlung Ruppert“.

Weiterhin wird auf den Katalog „Lichtbild und Datenbild – Spuren Konkreter Fotografie“ von Henrike Holsing und Gottfried Jäger verwiesen.

Das Buch zeichnet sich nicht nur durch das interessante Bildmaterial aus, sondern auch durch interessante Beiträge diverser Autoren.

So erläutert Marlene Lauter die Sammlung Peter C. Ruppert: „Denn originär ist es die Autonomie der Bildmittel, die das Wesen der konkreten Kunst ausmacht, ihr Beharren darauf, dass die bildnerische Welt eine eigene sei, aufgebaut auf Fläche, Raum, Linie, Farbe, Hell-Dunkel, Licht […]. Das zweite grundsätzliche Wesensmerkmal des Konkreten ist die Berechenbarkeit dieser Kunst, das offene zu Tage legen ihrer Prinzipien wie Symmetrie, Rotation, Progression und serielle Ordnung, kurz, ihre Affinität zu Mathematik.

Ausschnitt aus dem Interview von Beate Reese mit dem Sammler Peter C. Ruppert:

Beate Reese: Woraus erklären Sie sich die europaweite Präsenz und Tradition der konkreten Kunst und ihre kulturübergreifende Internationalität?

Peter C. Ruppert: Einmal war schon der Beginn international mit dem russischen Konstruktivismus, der niederländischen De-Stijl-Bewegung und dem deutschen Bauhaus, an dem Lehrende wie Studierende verschiedener europäischer Nationalitäten vereint waren. Auch die Künstlermanifeste hatten grenzübergreifende Auswirkungen. Für das Thema der Sammlung – nämlich die Zeit nach 1945 – sehe ich zwei europaweit prägende Zentren: die Schweiz, mit den Zürcher Konkreten, und die Pariser Szene mit der dort so genannten „geometrischen Abstraktion“ der fünfziger Jahre.

In ihrem Beitrag „Stille Orte der Geometrie – Konkrete Kunst – wovon handelt sie?“ geht Margit Weinberg Staber auf das Wesen der konkreten Kunst ein. Sie schreibt: “ Von Farben und Formen, auch von Bewegung und Licht, Operative Mittel,  die den Reigen der Elemente steuern, sind System und Serien, Raster und Modul. Es geht um Ordnung, Gleich-gewicht, Maßverhältnisse im Wechselspiel mit Unordnung, Instabilität, Störung, ja: Auflösung, Abweichung und Zufall. Neuerdings assoziieren Künstler sich mit der Chaostheorie und den Fraktalen, wie sie zuvor schon die Wahrscheinlichkeitstheorie, Gruppentheorie, Mengenlehre, Topologie, strategische Spiele, Wärmelehre, serielle Abläufe in ihrer Gedankenwelt einbezogen haben. Auch der Computer wird zu einem Gestaltungswerkzeug.

Im Weiteren geht Margit Weinberg Staber auf die Protagonisten der konkreten Kunst ein. Zu den Schlüsselfiguren zählt sie Josef Albers, dessen Bilderreihe Hommage to the Square 1949 weltweit Schule machte.

Bridget Riley ist eine Schlüsselfigur für eine Generation auf der Fährte einer Farbphänomenologie. Ausgehend von zuerst horizontalen, dann diagonal strukturierten Bildflächen dringt sie in die psychische Komponente unserer Wahrnehmung ein.

Eine weitere Schlüsselfigur ist Victor Vasarely, der weit in die Post-Moderne hineinragt. Der älteste Künstler in der Sammlung Ruppert ist Auguste Herbin mit seinem späten Bild Rare von 1959, ein Jahr vor seinem Tod gemalt. Sein farbkräftiges planimetrische Vokabular zeigt das von ihm entwickelte fantastische System zwischen Figuration, Tönen, Farben und Formen.

Es würde den Rahmen hier sprengen, alle Künstler aufzuzählen, die sie in kurzen Statement aufzählt und vorstellt. Zu erwähnen sind auf jeden Fall die schweizer Kerntruppe mit Max Bill, Camille Graeser, Verena Loewensberg, Richard Paul Lohse, Hans Hinterreiter, Fritz Glarner um nur einige zu nennen.

Wolfgang Ahrens, Februar 2016

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