Was eigentlich ist der Surrealismus?

  

Wikipedia bezeichnet den Surrealismus

… als eine geistige Bewegung, die sich seit den 1920er Jahren als Lebenshaltung und Lebenskunst gegen traditionelle Normen äußert. Sie findet bis in die Gegenwart sowohl philosophisch als auch in den Medien, Literatur, Kunst und Film ihren Ausdruck. Im Unterschied zum satirischen Ansatz des Dada werden gegen die herrschenden Auffassungen vor allem psychoanalytisch  begründete Theorien verarbeitet. Traumhaftes, Unbewusstes, Absurdes und Fantastisches sind daher Merkmale der literarischen, bildnerischen und filmischen Ausdrucksmittel. Auf diese Weise sollen neue Erfahrungen gemacht und neue Erkenntnisse gewonnen werden.

Einführung

Das Wort „Surrealismus“ bedeutet wörtlich „über dem Realismus“. Etwas, das als surreal bezeichnet wird, wirkt traumhaft im Sinne von unwirklich. Die vom französischen Schriftsteller und Kritiker André Breton seit 1921 in Paris geführte surrealistische Bewegung suchte die eigene Wirklichkeit des Menschen im Unbewussten und benutzte Rausch- und Traumerlebnisse als Quelle der künstlerischen Eingebung. Sie bemühte sich darum, das Bewusstsein und die Wirklichkeit global zu erweitern und alle geltenden Werte umzustürzen. Logisch-rationale „bürgerliche“ Kunstauffassungen wurden radikal und provokativ abgelehnt. Der Surrealismus wird daher als anarchistische  bzw. revolutionäre Kunst- und Weltauffassung bezeichnet.

Die Bezeichnung „Surrealismus“ geht auf Guillaume Apollinaire zurück. Ganz im Sinne des Grundgedankens der Bewegung erfand Apollinaire diese Bezeichnung. Er wolle mit diesem unbekannten und daher symbolisch unbelasteten Wort eine Tendenz der gegenwärtigen literarischen und bildnerischen Aktivitäten benennen, schrieb er in der Einleitung seines Theaterstückes Les mamelles de Tirésias (Die Brüste des Tiresias). Es trägt den Untertitel „ein surrealistisches Drama“. 1924 übernahm André Breton das Wort Surrealismus als Namen für die bereits vorhandene Bewegung. Ausgehend von der dadaistischen Bewegung in Paris war auch der Surrealismus eine revolutionäre Bewegung, die gegen die unglaubwürdigen Werte der Bourgeoisie antrat, die für den entsetzlichen 1. Weltkrieg verantwortlich gemacht wurde. Im Unterschied zum satirischen Dadaismus wurde im Surrealismus eine neuartige Sicht der Dinge propagiert. Die künstlerischen Ausdrucksmittel waren vom Symbolismus, Expressionismus, Futurismus, den Schriften Lautréamonts, Arthur Rimbauds, Alfred Jarrys und den Theorien Sigmund Freuds beeinflusst.

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Spielarten des Surrealismus

Man kann den Surrealismus in zwei Unterarten unterteilen:

  • veristischer oder auch kritisch-paranoischer Surrealismus (Vereinigung nicht zusammengehöriger Dinge, verdrehte Perspektiven, wie man sie z. B. von Salvador Dalí kennt), genannt Enttextualisierung,

  • abstrakter oder absoluter Surrealismus (dasselbe Prinzip wie oben genannt nur ohne jeglichen Realismus, wie z. B. in Bildern von Joan Miró).

Oft werden auch Begriffe benutzt wie Magischer Realismus oder Phantastischer Realismus.

Im Zusammenhang mit den Arbeiten von Giorgio de Chirico spricht man auch von der Pittura metafisica oder der Metaphysischen Malerei, die als Vorläufer des Surrealismus gilt.

Es gibt mehrere Schwerpunkte surrealer Kunst. Zuallererst Paris, wo sich die ganz Großen der Kunstrichtung einfanden. Dazu zählen die Maler Max Ernst, Salvador Dalí und René Magritte, aber auch Giorgio de Chirico, Yves Tanguy und viele andere. Der surrealistische Fotograf war Man Ray.

In Wien formierte sich die Wiener Schule des Phantastischen Realismuseine in den 1950er Jahren von Johann Muschik geprägter Begriff für eine Strömung in der österreichischen Kunst, die dem Surrealismus nahesteht

Ein weiterer Schwerpunkt bildete sich in Prag heraus. Diese Künstler sind im Westen weitgehend unbekannt. siehe: /1/

Wer oft in der Betrachtung des Surrealismus untergeht, sind die Surrealistinnen allen voran Frida Kahlo, Claude Cahun, Kay Sage, Dora Maar, Lee Miller, Dorothea Tanning, Meret Oppenheim, Leonor Fini, um nur einige zu nennen. siehe: /2/

Die Rolle des Zufalls im Surrealismus, die Écriture automatique

Eine weitere Spielart des Surrealismus ist die Écriture automatique (dt.: Automatisches Schreiben, Automatischer Text). Der Ausdruck bezeichnet eine Methode des Schreibens und Malens, bei der Bilder, Gefühle und Ausdrücke (möglichst) unzensiert und ohne Eingreifen des kritischen Ichs wiedergegeben werden sollen. Das Schreiben erfolgt dabei klassischerweise als manuelles Schreiben mit einem Schreibgerät. Unter Verzicht auf Absichtlichkeit und Sinnkontrolle dürfen sowohl Sätze, Satzstücke, Wortketten, als auch einzelne Wörter geschrieben werden. Was ansonsten in Hinsicht auf Orthografie, Grammatik oder Interpunktion als fehlerhaft gilt, kann unter diesen Bedingungen erwünscht und zielführend sein. Wichtig ist allein die Authentizität des Einfalls. Max Ernst hat verschiedene grafische Techniken entwickelt, um den Verstand zu umgehen: Diese verschiedenen halbautomatischen Techniken, mit denen er Strukturen erzeugte, sollten seine Imaginationskraft beflügeln:

Selbst erfundene Techniken:

Ein Blatt Papier wird auf einen strukturierten Untergrund gelegt. Die Struktur wird mit einem Bleistift auf das Papier durchgerieben. Beispiel: Histoire naturelle (begonnen ab 1925).

Die Frottage ist ein bildnerisches Äquivalent zur surrealistischen Form des Schreibens, genannt Écriture automatique.

Mindestens zwei Farbschichten werden auf eine Leinwand aufgetragen. Die untere/n Schicht/en wird/werden frei gekratzt. Beispiele: Vogelhochzeit (1925), Grätenblumen (1929), Die ganze Stadt (1935/36)

Eine Büchse wird mit einem Loch versehen, an einer Schnur über der auf dem Boden liegenden Leinwand aufgehängt und mit Farbe gefüllt. Wenn die Dose in Schwingung versetzt wird, tropft Farbe aus dem Loch in kreisenden Bahnen auf die Leinwand. – Beispiele: Der verwirrte Planet (1942), Junger Mann, beunruhigt durch den Flug einer nicht-euklidischen Fliege (1942 und 1947)

Weitere benutzte Techniken:

Bildmaterial wird gesammelt und/oder ausgeschnitten und auf einem anderen Bildträger neu zusammengefügt. Beispiele: dadaistische Collage: Der Hut macht den Mann (1920), surrealistische Collage: LopLop stellt LopLop vor (1930), Collageromane aus Holzstichen: La femme 100 têtes (1929), Une semaine de bonté (1934)

1935 von Óscar Domínguez wiederentdeckt. Dünnflüssige Farbe wird auf der Leinwand mit Hilfe eines Blatts Papier oder einer Glasplatte verschoben. Dies erzeugt Strukturen, die an Korallen oder Moos erinnern. Beispiele: Marlene (1940/41), Die Einkleidung der Braut (1940), Europa nach dem Regen II (1940–1942), Der Gegenpapst (1941/42), Die Versuchung des Heiligen Antonius (1945)

Woran erkennt man den Surrealismus?

Max Ernst definiert den Surrealismus in Form der Collage-Technik:

„Collage-Technik ist die systematische Ausbeutung des zufälligen oder künstlich provozierten Zusammentreffens von zwei oder mehr wesensfremden Realitäten auf einer augenscheinlich dazu ungeeigneten Ebene – und der Funke Poesie, welcher bei der Annäherung dieser Realitäten überspringt.“

Schön ist die unerwartete Begegnung einer Nähmaschine und eines Regenschirms auf einem Seziertisch.” ist eine weitere Definition.

Dieser Satz des Comte de Lautréamont, ein französischer Dichter des 19. Jahrhundert, wurde Leitsatz des Surrealismus. Einander wesensfremde Gegenstände auf seltsamen Terrain prägen die Bilderwelt von Malern wie Max Ernst, Salvador Dalí oder René Magritte, die als Trias des Surrealismus bezeichnet werden.

Zusammenfassend kann man sagen /3/:

  • Zentrale Maxime des Surrealismus ist ein neuer Blick auf die Wirklichkeit.
  • Als Quellen dienen der Traum und das Unbewusste.
  • Innere Bilder werden zu direkten oder indirekten Vorlage von Kunstwerken.

Die Leerstelle im Surrealismus /6/

Für Ingarden sind Kunstwerke schematische Gebilde, die selbst nicht vollständig in aller Hinsicht ausformuliert sind, sondern nur in bestimmten Ansichten oder Hinsichten. So zeigt z. B. die Fotografie einer Person, die von der Rückseite aufgenommen wurde, nicht ihr Gesicht. Es bleibt im Gegensatz zu einer realen Person, die sich umdrehen kann oder die der Beobachter umschreiten kann, auf immer und ewig unbestimmt. Das Gesicht bleibt eine Leerstelle. Es kann nur durch subjektive Vorstellungen des Betrachters ergänzt werden. Dies ist nur ein sehr einfaches Beispiel für eine Leerstelle. Denkbar sind aber viele verschiedene, auch wesentlich komplexere Arten von Leerstellen, die durch Bilder und speziell durch Fotografien kognitive Irritationen auslösen können.

Leerstellen sind nicht nur ein wichtiges Konzept im Surrealismus, sondern in der gesamten Kunst auch in der Fotografie. Die Leerstellen von Bildern sind die entscheidenden Auslösemomente oder Konfigurationen, die das kognitive System durch Irritation aktivieren. Sie führen zu kognitiven Konstruktionen des Beobachters, die weit über das am Gegenstand Beobachtbare hinausgehen und zwar in unvorhersehbarer, unkontrollierbarer und nicht vom Gegenstand her abgesicherter Weise. Das bedeutet nun, dass zu der selektiven Unbestimmtheit des Kunstwerkes eine ebenso selektive Unbestimmthait auf seiten des kognitiven Systems des Beobachters tritt. 

Magritte hat immer wieder Personen von hinten gemalt. Sein Bild von 1937 Die verbotene Reproduktion zeigt die Leerstelle im doppelten Sinn: Der Blick in den Spiegel wird nicht erwidert. Magritte: „Was zählt, ist eben dieser Moment der Panik und nicht eine Erklärung desselben.”

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Die sechs Gesänge des Maldoro (Les Chants de Maldoro) (Quelle /2/)

Im Ursprung war der Surrealismus eine literarische Bewegung, initiiert von zornigen jungen Poeten, die es mitten im Weltuntergang des Kriegsendes nicht hinnehmen konnten, dass die Dichter einfach weiter die Schönheit besangen, als ob nichts geschehen wäre.

Philippe Soupault stöberte am 28. Juni 1917 in einer Buchhandlung und fand eine Schrift des jung verstorbenen Schriftstellers Isidore Lucien Ducasse, der sich später Comte de Lautréamont nannte mit dem Titel Les Chants de Maldoro) aus dem Jahre 1870. Es war sozusagen der Startschuss einer neuen Kunstrichtung, die Guillaume Apollinaire später Surrealismus nannte.

Das Prosagedicht besteht aus sechs Gesängen mit insgesamt 60 Strophen. In Gestalt des Comte de Lautréamont hat der Dichter Ducasse – lange vor Sigmund Freud – den Weg in die Tiefen des Unbewussten gewagt und im Verlauf der Gesänge Nacht und Traum, Tod und Schlaf immer neue Facetten hinzugefügt. Ausschnittsweise hier der 1. Gesang:

Erster Gesang:

O Krake mit dem seidigen Blick!

du, dessen Seele von der meinen unzertrennlich ist;

du, der schönste Bewohner des Erdballs,

der einem Serail von vierhundert Saugnäpfen befiehlt;

du, in dem die sanfte Tugend der Kommunikation und die göttlichen Grazien,

einig und unzerstörbar verbunden, in edler Gemeinschaft beisammen wohnen,

als wärst du ihre natürliche Residenz, warum bist du nicht bei mir,

deinen Quecksilberleib an meine Aluminiumbrust gepreßt

Die Rolle der Poesie im Surrealismus, weitere Erklärungsversuche /3/

Realitätsskepsis und Traumpoesie machen das Rätsel in der surrealistischen Malerei nahezu allgegenwärtig: als ungewöhnliche, unerklärliche Kombinationen von Objekt und Ort, als fantastische Mischwesen und so fort. Mitunter vereinigen sich mehrere Teil-Bilder zu einem kuriosen Ensemble, legen Titel oder Kommentar ironisch-falsche Fährten der Interpretation.

Was aber hat es jetzt mit der Poesie auf sich ?

„.UND DER FUNKE POESIE, WELCHER BEI DER ANNÄHERUNG DIESER REALITÄTEN ÜBERSPRINGT.“

Um dies hier voran zu bringen, beziehe ich mich öfter auf das schöne Buch. /5/

Der zentrale Gedanke bei Magritte war, dass die Malerei Poesie sein müsse und dass die Poesie das Mysterium heraufbeschwöre. Mysterium heißt also das Schlüsselwort.

Das Wort Mysterium impliziert einen Sachverhalt, welcher sich der eindeutigen Aussagbarkeit und Erklärbarkeit prinzipiell entzieht – nicht einfach eine nur schwer mittelbare oder zufällig verschwiegene Information. Wie sie ist die Poesie bestrebt, Rätsel aufzugeben

Magritte schreibt:

Das Gelingen eines Werkes scheint sehr wenig von seinem Ausgangspunkt und den Schwierigkeiten seiner Durchführung abzuhängen. Das fertige Gemälde ist eine Überraschung, und sein Schöpfer wird als erster von ihm überrascht. Ein Gemälde muss überwältigend sein.

Es gibt allerdings kein Rezept, wie das Überwältigende und Unerwartete zu erreichen ist. Anstatt unablässig zu versuchen, Geheimnisse zu enthüllen, sollte die Malerei vor allem bemüht sein, beim Betrachter das Erahnen des Verborgenen zu fördern. Dieser Sinn steht hinter der Bemerkung, dass ein Objekt immer ein anderes verbirgt. Die enthüllende Seite der Malerei wird somit von einen gedanklichen überlagert.

Literatur

/1/ Spieler, R., B. Auer (Hrsgb.): Gegen die Vernunft. Surrealismus Paris – Prag., Belser-Verlag, Stuttgart, 2009 /2/ Hille, K.: Künstlerinnen im Surrealismus. Belser-Verlag, Stuttgart, 2009

/3/ Nagel, J.: Wie erkenne ich? Die Kunst des Surrealismus. Belser Verlag, Stuttgart, 2007

/4/ Ertem, B.: Träume in Literatur, Film und Malerei. Vom Surrealismus bis zur Gegenwart. Magisterarbeit am Institut für Romanistik. Johann Wolfgang Universität 2011

/5/ Meuris, J.: René Magritte. Taschen-Verlag, Köln 2004

/6/ Hans Dieter Huber, H. D.: Leerstelle, Unschärfe und Medium. Erschienen in: Stephan Berg/René Hirner/Bernd Schulz (Hg.) Unschärferelation. Fotografie als Dimension der Malerei. Ostfildern-Ruit, Cantz Verlag 2000, S.84-87

 

Die Bedeutung des Traumes im Surrealismus /4/

Traum und Traumdeutung spielten im Surrealismus eine große Rolle. Da passte es gut ins Konzept, dass in Wien der Psychoanalytiker Sigmund Freud arbeitete.

In dem 1944 entstandenen Bild Traum, verursacht durch den Flug einer Biene um einen Granatapfel, eine Sekunde vor dem Aufwachen setzte sich Dalí mit der künstlerischen Darstellung und Deutung eines Traumes auseinander. Dabei orientierte er sich an Sigmund Freuds Theorien zur Psychoanalyse und zur Traumdeutung, von denen er schon seit seiner Studienzeit in Madrid 1922/23 fasziniert war. Darauf aufbauend entwickelte Dalí seine paranoisch-kritische Methode, von deren Nützlichkeit er Freud in einem persönlichen Treffen 1938 überzeugen konnte. Sie ermöglichte es ihm, Motive und Symbole zu verknüpfen, die scheinbar in keinem rationalen Zusammenhang stehen und Unbewusstes, wie es sich in Träumen oder Wahnvorstellungen manifestiert, objektiv vermitteln zu können. Dadurch machte er bildliche Assoziationen offen für vielfältige Interpretationsmöglichkeiten und ließ verschiedene Bedeutungsebenen ineinander fließen. Mithilfe dieser Methode sah er sich, wie er 1962 erklärte, erstmals in der Lage, „Freuds Entdeckung des typischen Traumes mit langer Handlung, als Konsequenz der Unmittelbarkeit eines zufälligen Ereignisses, welches den Schlafenden aufweckt, bildlich auszudrücken“.

Einige Gedanken zum Bildtitel

Künstler geben ihren Bildern gern einen Titel mit. Andere wiederum nicht, weil sie wollen, dass ihre Bilder alleine wirken und der Rezipient nicht auf eine falsche Fährte gelockt wird. Magritte hat sich zur Beziehung zwischen Bild und Titel geäußert:

Die Bildtitel sind keine Erklärungen, und die Bilder sind keine Illustrationen der Titel.

Kann man also fragen, was sind sie dann? Wie Magrittes Bilder münden auch die Titel im Poetischen und demnach im Mysterium, das mit ihm verknüpft ist. Magritte:

Die Beziehung zwischen Bildern und Titeln erfasst nur bestimmte Charakteristiken der Objekte, die das Bewusstsein gewöhnlich ignoriert, die es aber manchmal bei außergewöhnlichen Ereignissen, die zu erhellen der Vernunft  bislang noch kaum gelungen ist, erahnt.”

Man kann also sagen, dass sich die Bildtitel – zumindest bei Magritte – auf die gedankliche Seite des Kunstwerks und damit auf das ”Dahinterliegende” beziehen.

siehe: Magritte – Ausstellung in der Schirn-Kunsthalle 2017

Die Logik in Magrittes Werk

Logik muss man unter zwei Aspekten betrachten, einerseits in der allgemein gebräuchlichen Alltagsverwendung des Wortes und andererseits in ihrer wissenschaftlichen Verwendung. Dass ein Apfel nach unten fällt, ist logisch, weil uns das die Naturwissenschaft/Physik lehrt. In der populären Bedeutung bezeichnet Logik also ein dem Anschein nach folgerichtiges Denken. Gleichwohl sind wir vor Fallstricken nicht geschützt. Das am häufigsten zitierte Beispiel ist folgendes: Wenn ich sage, ich sei ein Lügner, bin ich es dann, da ich doch lüge?

So trägt in seinem Bild Der Schlüssel der Träume von 1927, das in vier Abschnitte unterteilt ist, eine Tasche den Untertitel ”Der Himmel,” ein Taschenmesser die Unterschrift ”Der Vogel,” ein Blatt von einem Baum ist unterschrieben mit ”Der Tisch”. Doch der vierte Abschnitt, auf dem ein Schwamm dargestellt ist, ist unterschrieben mit ”Der Schwamm”. Klar, würden wir sagen, die erkennbaren Objekte sind mit Definitionen konfrontiert, die nach unserer Logik nicht zu ihnen passen. Also was will Magritte uns sagen? Magritte versucht Assoziationen anzusprechen, die Imagination erzeugen können. Er hat nicht nur ein Bild durch ein Wort ersetzt, sondern auch ein Bild durch ein anderes, das sich hinter dem ersten verbirgt. Dieser Gedanke zieht sich durch das gesamte Werk von Magritte.

Wo aber bleibt die Logik?

Sie liegt dort, wo wir sie nicht erwartet hätten: in der Untreue der Worte und Bilder  gegenüber dem, was der gesunde ”Menschenverstand” aus ihnen gemacht hat.

Evelyn Benesch:

Magritte ist ja ein Geschichtenerzähler und nicht ein Maler, wo wir die stilistische Entwicklung nachvollziehen wollen, weil er sucht sich ja eine sehr neutrale, akademische, oberflächen-indifferente Malerei aus, mit der er so spielen kann. Übrigens: Genau so, wie sein äußeres Leben von dieser gleichgültigen Bürgerlichkeit geprägt war, nicht? Er war der Mann mit der Melone. Er hat in der Wohnung gemalt, er hat kein Atelier gehabt. Er war ungeheuer pingelig eigentlich äußerlich. Und in Wirklichkeit war er ein großer Intellektueller.“

Wolfgang Ahrens, im Januar 2020