Was ist ein „gutes“ Bild?

<        >

Einleitung

 

Stellt man Fotografen diese Frage, bekommt man fast immer die gleiche Antwort. Ein gutes Bild ist ein Bild das stimmig ist im Hinblick auf Bildkomposition, das im Hinblick auf Schärfe und Schärfeverlauf spitze ist, das eine neue Sicht auf Altbekanntes eröffnet, wo Licht und Schatten eine neue Interpretation erlauben, das nicht nur Reproduktion eines Motivs verkörpert, sondern in besondere Weise eine Abstraktion desselben darstellt, das einer eigenen Bildsprache des Fotografen entspricht, das aber auch emotional anspricht, kurzum ein Bild eben, das gefällt.

Alles Eigenschaften eines guten Bildes! Wirklich? Eben nicht! Gut und Böse sind keine Begriffe der Ästhetik, sondern der Moral und der Ethik. Ein guter Arzt ist auch nicht per se ein schöner Arzt.

Ästhetik

 

Fragen wir also zunächst was Ästhetik überhaupt ist. Ästhetik (nach Wikipedia) war bis zum 19. Jahrhundert vor allem die Lehre von der wahrnehmbaren Schönheit, von Gesetzmäßigkeiten und Harmonie in der Natur und Kunst. Alltagssprachlich wird der Ausdruck ästhetisch heute meist als Synonym für schön, geschmackvoll oder ansprechend verwendet. In der Wissenschaft bezeichnet der Begriff die gesamte Palette von Eigenschaften, die darüber entscheiden, wie Menschen Gegenstände wahrnehmen.
Mathematiker z. B. finden mathematische Formeln ästhetisch. Über ästhetische Begriffe haben sich schon die Philosophen der Antike Gedanken gemacht. Der ästhetische Diskurs setzte sich über die Jahrhunderte fort. Im Mittelalter findet sich z. B. bei Thomas von Aquin (1224 –1274) ein (aristotelisch beeinflusstes) klassisches Schönheitsideal von Klarheit, Ausgewogenheit und Ordnung. Claritas, perfectio, proportio sind seine Kriterien für das Schöne, das im Menschen die Befriedigung der wahrnehmenden Erkenntnis hervorruft, und zwar aufgrund der bewusst gestalteten Form, die klar und bestimmt zu sein hat. Hauptbestandteil des Schönen ist das ganze Mittelalter hindurch die Schönheit des materiellen Lichtes als Abbild des geistigen Lichtes.
Geht es dem ambitionierten Fotografen nicht genau um dieses „Licht“, um Klarheit und Ausgewogenheit seiner Bildkomposition?
Bereits Homer (etwa 9. Jahrhundert v. Chr.) sprach von „Schönheit“, „Harmonie“ usw., allerdings ohne sie theoretisch zu fixieren. Einen Höhepunkt des Diskurses erreicht die griechische Ästhetik bei Aristoteles (384–322 v. Chr.). Für ihn gilt die künstlerische Nachbildung nicht dem einzelnen, im Auffälligen bleibenden Objekt. Sie richtet sich auf sein Wesen und Gesetz, auf die Tendenz der Natur bei der Bildung des Gegenstandes. Übertragen auf die Neuzeit ist dies aber genau das Anliegen einer künstlerischen Fotografie, nicht die Reproduktion – vielleicht mit Ausnahme der Dokumentarfotografie -, sondern die Abstraktion – was immer das heißen mag – sind gefragt. Aber selbst ein August Sander (1876 – 1964) schafft mit seine Menschen des 20. Jahrhunderts keine reinen Reproduktionen, sondern entwickelt eine „inszenierende“ Bildauffassung, indem er die Menschen in typischer Umgebung, mit charakteristischer Kleidung oder auch berufsspezifischen Attributen zeigt. Seine Bilder stellen also eine Typisierung oder Klassifikation und damit eine Abstraktion dar.
Das ausgehende Mittelalter und die Renaissance sind geradezu geprägt von dem ästhetischen Diskurs. Dante, Leonardo da Vinci, Michelangelo stehen für diesen Diskurs. Michelangelos David ist bis heute der Inbegriff der ästhetischen Dimension. Der Gottesbezug ist eine weitere ganz wesentliche Komponente der Definition früherer Ästhetik. Die klassizistische Kunsttheorie Italiens seit der Hochrenaissance fasste G. P. Bellori (um 1615–96) zusammen. Er ging von christlich-neuplatonischem Gedankengut aus, wenn er die vollkommensten Urformen (Ideen) bei Gott sah, denen die Künstler nahekommen, indem sie „in der Vorstellung einen Begriff höherer Schönheit ausbilden“ und durch „die Idee das Naturschöne zur Vollkommenheit“ formen. Naturfotografen sind also näher an Gott als sie es sich wohl eingestehen wollen. Für weitere Studien empfehle ich das Buch von Gottfried Jäger über Fotoästhetik.

 

Moral und Ethik

 

Die Ethik (ebenfalls nach Wikipedia), „das sittliche Verständnis“, ist eines der großen Teilgebiete der Philosophie und befasst sich mit Moral, insbesondere hinsichtlich ihrer Begründbarkeit. Die Ethik – und die davon abgeleiteten Disziplinen (z. B. Rechts-, Staats- und Sozialphilosophie) – bezeichnet man auch als „praktische  Philosophie“,  da  sie sich mit  dem  menschlichen  Handeln  befasst

(im  Gegensatz  zur „theoretischen“ Philosophie, zu der die Logik, die Erkenntnistheorie und die Metaphysik als klassische Disziplinen gezählt werden). „Gut“, „schlecht“ gehören zu den nicht weiter unterteilbaren Begriffen dieser Philosophie.
 .
Als Adjektiv bezeichnet das Wort „gut“ generell die Reduzierung eines „Gegenstandes“ auf eine bestimmte Funktion oder einen bestimmten Zweck. So spricht man z. B. von einem „guten Messer“, wenn es seine im „Messer“ ausgedrückte Funktion erfüllt – also z. B. gut schneiden kann. Analog spricht man von einem „guten Arzt“, wenn er in der Lage ist, seine Patienten zu heilen und Krankheiten zu bekämpfen. Ein „guter Mensch“ ist demnach jemand, der in seinem Leben auf das hin ausgerichtet ist, was das Menschsein ausmacht, also dem menschlichen Wesen bzw. seiner Natur entspricht. Religion (10 Gebote) wie unser gesamtes Rechtssystem begründen sich letztlich in der Ethik.

Ein „gutes Bild“ ist ein Bild, das – entstanden aus menschlichem Handeln – unseren moralischen Vorstellungen entspricht. Ob das Bild schön ist oder nicht, haben wir nicht hier, sondern unter dem Aspekt der Ästhetik zu diskutieren.

Verstöße gegen Ethik und Moral, unmoralische Handlungen im Zusammenhang mit der Fotografie, sind an der Tagesordnung. Eine besonders schlimme Entgleisung ist das Paparazzi-Unwesen, weswegen Lady Di sterben musste. Ein zweites Beispiel ist das Verhalten von Fotografen während der Geiselnahme von Gladbeck (auch bekannt als Gladbecker Geiseldrama), ein aufsehenerregendes Verbrechen im August 1988, in dessen Verlauf drei Menschen starben. Durch ihre Liveberichte und -interviews boten die Medienvertreter den beiden Verbrechern ein öffentliches Podium in bis dahin nicht gekannter Form. Dieses Verhalten der Presse rief in der Öffentlichkeit Empörung hervor. Das Verhalten der Journalisten in Bremen wurde zum damaligen Zeitpunkt unterschiedlich bewertet. Aufgrund der chaotischen Situation gelang es Journalisten, die Freilassung von fünf Geiseln zu erreichen. Auch die Freilassung der beiden Bankangestellten auf der Raststätte Grundbergsee erreichten Journalisten durch ein Gespräch mit Rösner. Journalisten brachten den von Degowski im Bus angeschossenen, bereits verblutenden Emanuele zum Notarzt. Allerdings hielt ein Reporter den herabhängenden Kopf des schwerverletzten Jungen noch einmal fotogerecht in die Kamera. Wegen des Fehlverhaltens der Journalisten während des Geiseldramas äußerte der Deutsche Presserat am 7. September 1988 die Meinung, dass Geiselnehmer während einer Geiselnahme nicht interviewt werden sollten und eigenmächtige Vermittlungsversuche nicht zu den Aufgaben von Journalisten gehören.
Der Pressekodex wurde entsprechend erweitert. In einem Bericht der Süddeutschen Zeitung zwanzig Jahre nach dem Gladbecker Geiseldrama erklärten einige der damals beteiligten Journalisten, sie bereuten ihr Verhalten, das zur Unterstützung der Verbrecher beigetragen habe.

Eine besonders abartige Diskussion wabert zur Zeit durch die Medien, nämlich die causa Edathy. Dabei geht es mir garnicht um die sexuelle Veranlagung eines Einzelnen. Äußerungen wie die von Edathy sind jedoch nicht zu akzeptieren: „Ich bin nicht pädophil. In der Kunstgeschichte hat der männliche Akt, auch der Kinder- und Jugendakt, eine lange Tradition. Man muss daran keinen Gefallen finden, man darf es aber.“

Die kanadische Staatsanwältin sagte zu dem Fall sinngemäß aus: Ihre Polizisten hätten über 380 Kinder, schwerst misshandelt und traumatisiert, aus den Fängen derjenigen befreit, von denen Edathy die angeblich legalen Bilder bezogen hat. Es ist unbegreiflich, dass es in Deutschland Bilder 1. und 2. Kategorie gibt, von Kindern, die kaum ihre Einwilligung zu den Bildern gegeben haben. Die Diskussion aus den Anfangsjahren der Grünen Sex zwischen Erwachsenen und Kindern freizugeben, fällt ebenfalls in diesen Kontext.

Das Persönlichkeitsrecht basiert auf § 1 des GG: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Seit den 1950er Jahren wurde in richterlicher Rechtsfortbildung das allgemeine Persönlichkeitsrecht (APR) mit einem umfassenden Persönlichkeitsschutz aus Art. 1 Abs. 1 (Menschenwürde) in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG (freie Entfaltung der Persönlichkeit) abgeleitet. Es wurde in einer Fülle von Urteilen weiter ausgeformt und konkretisiert und ist in allgemeiner Rechtsüberzeugung heute gewohnheitsrechtlich anerkannt.

Das Recht am eigenen Bild oder Bildnisrecht ist eine besondere Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Es besagt, dass jeder Mensch grundsätzlich selbst darüber bestimmen darf, ob und in welchem Zusammenhang Bilder von ihm veröffentlicht werden. Im anglo-amerikanischen Raum ist das Recht am eigenen Bild weitaus freier gestaltet als im deutschen Rechtsraum.

Zusammenfassung

 

Bilder sind nicht allein nach ästhetischen Gesichtspunkten zu beurteilen, sondern immer auch nach ethischen. Da allerdings mangelt es vielen, die aus Unkenntnis oder mit Vorsatz dagegen verstoßen und nur deshalb oftmals nicht zur Rechenschaft gezogen werden, weil sie nicht entdeckt werden oder weil Diebstahl geistigen Eigentums als Kavaliersdelikt verstanden wird.

.

Wolfgang Ahrens, im September 2013

<        >