Rezension zum Bildband „Das konstruierte Bild. Fotografie – arrangiert und inszeniert“ Teil 1

Hrsg. Michael Köhler mit Texten von Zdenek Felix, Michael Köhler und Andreas Vowinckel zur Fotokunst der 80er Jahre. Edition Stemmle. Kilchberg/Zürich 1989/1995

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Einleitung

Die Publikation ist der offizielle Katalog zur Ausstellung „Das konstruierte Bild. Fotografie arrangiert und inszeniert“ des Kunstvereins München im Jahre 1989. Im Mittelpunkt der Ausstellung steht dabei jene Sparte der Gegenwartsfotografie der achtziger Jahre, deren Domäne das konstruierte, im voraus vorbereitete und gestaltete Lichtbild ist.

Zdenek Felix vom Kunstverein München erläutert in seinem Vorwort: „Diese Praxis hat zur Folge, dass die Fotografen und Fotografinnen auch die Rolle von Regisseuren, Bühnen- und Kostümbildnern und oft auch die von Darstellern in ihren eigenen Szenenbildern übernehmen. Einige Künstler ersetzen die lebenden Akteure durch Surrogate wie Puppen oder Spielzeug oder schaffen abstrakte Arrangements aus Farbpapier, Spiegeln, Metall- und Kunststoffelementen und anderen Materialien und Gegenständen, die ihrerseits dem geplanten konstruierten Bild als Grundlage dienen. Andere Künstler wiederum inszenieren mit ähnlichen Mitteln Stillleben, narrative Tableaus und Miniaturbühnen – Ausdruckformen, die in dieser Ausstellung zum Ausdruck kommen.”

So führt Michael Köhler weiter aus: „Bei diesem Bildtyp verfährt der Künstler wie ein Werbefotograf oder Filmregisseur: Zuerst entwickelt er eine Bildidee – das Drehbuch sozusagen -, lässt dann entsprechende Kulissen, Requisiten, Kostüme und, wo nötig, Masken anfertigen, wählt Darsteller aus und inszeniert mit ihnen schließlich fiktive Begebenheiten aus dem Alltag, aus Geschichte, Sage, Mythos oder Science-fiction.[…] Soweit es das konstruierte Bild in der Fotokunst der achtziger Jahre betrifft, versucht das vorliegende Projekt umfassend zu informieren.”Das Geheimnis einer guten Fotografie, die künstlerische Qualitäten wie ein Werk der bildenden Kunst besitzen kann, beruht in ihrem Realismus. […] Die absolut richtige Formwiedergabe, die Feinheit der Tonabstufung vom höchsten Spitzlicht bis zum tiefsten Kernschatten gibt der technisch gekonnten fotografischen Aufnahme den Zauber des Erlebnisses. Überlassen wir daher die Kunst den Künstlern und versuchen wir mit den Mitteln der Fotografie Fotografien zu schaffen, die durch ihre fotografischen Qualitäten bestehen können, – ohne daß wir von der Kunst borgen.

Heute wissen wir, dass diese Auffassung nicht mehr absolut gültig ist, spätestens seit der Konkreten Fotografie.

1) Die Ästhetischen Grundprinzipien moderner Fotopraxis

Versteht man „moderne Fotopraxis“ als „Fotopraxis der Moderne“, dann wird klar, dass sich die Fotografie hiermit auf den Epochenbegriff der Moderne bezieht, die man round about von 1860 bis 1960 zeitlich verorten kann. Manche Kunsthistoriker unterscheiden dann nochmals die sog. Klassische Moderne ab ca. 1900. Neben dem Adjektiv „modern“ bürgerten sich zur Charakterisierung dieser Fotokunst weitere Bezeichnungen ein – so in USA der Begriff „straight photography“ („direkte“ oder „reine“ Fotografie) und in Deutschland die Begriffe „Neues Sehen“ und „Neue Sachlichkeit”.

So formuliert Paul Strand schon 1917 die Grundprinzipien einer „modernen“ Fotokunst: „Die Fotografie findet ihre Legitimation, wie all anderen Medien, in der vollkommenen Einzigartigkeit ihrer Mittel. In diesem Fall heißt das:  absolute und grenzenlose Objektivität. Während die anderen Künste in dieser Beziehung wirklich antifotografisch sind, macht diese Objektivität den wahren Wesensgrund der Fotografie aus, ihre spezifische Leistung und gleichzeitig ihre Beschränkung.”

Und auch Albert Renger-Patzsch, Hauptvertreter der Neuen Sachlichkeit in seinem Beitrag Ziele von 1927: „Die Fotografie hat ihre eigene Technik und ihre eigenen Mittel. Mit diesen Mitteln Effekte erzielen zu wollen, wie sie der Malerei gegeben sind, bringt den Fotografen in Konflikt mit der Wahrhaftigkeit und Eindeutigkeit seiner Mittel, seines Materials, seiner Technik. Und es könnten allenfalls rein äußerliche Ähnlichkeiten mit Werken der bildenden Kunst erzielt werden. 

 

 2) Die Ästhetischen Grundprinzipien post-moderner Fotopraxis

Wenn wir heutige Positionen der Fotografie verstehen wollen, dann sind wir schon in der Fotopraxis der Post-Moderne. Nun ist der Begriff der Post-Moderne, obwohl schon einige Jahrzehnte in Gebrauch, noch immer umstritten und eher ein Arbeitstitel als eine gefestigte Kunstgattung.

So propagiert Michael Köhler: „Begnügen wir uns deshalb mit der vagen Erklärung, dass die Post-Moderne ein auf die unmittelbare Gegenwart gemünzter Epochenbegriff ist, der anzeigen soll, dass wir nicht mehr in der Moderne leben, sondern in einer Zeit nach der Moderne. Wer sich heute in der zeitgenössischen Fotokunst umschaut, stellt fest, dass die Prinzipien direkter Fotografie noch die ästhetischen Prinzipien der Moderne noch gelten. Der zeitgenössische Kamera-Künstler (wie der Computer-Künstler, Einfügung des Rezensenten) gibt sich nämlich mit der Beschränkung seiner kreativen Leistung auf die Wahl von Motiv, Bildausschnitt, Brennweite und Belichtungszeit, längst nicht mehr zufrieden. Ohne sichtbare Skrupel nimmt er sich vielmehr alle Freiheit, jeden Schritt der Bildherstellung nach Gutdünken zu beeinflussen. Das hervorstechendste Merkmal der jüngsten Fotokunst ist in der Tat eine subversive Respektlosigkeit gegenüber dem Medium Fotografie und dessen tradierten Kunststrategien.”

Was also ist das übergeordnete Ziel post-moderner Fotokunst? Es ist der Status eines autonomen Bild-Objektes, das nichts mehr abbildet oder abstrahiert.

Im Bewusstsein, bestimmte Prinzipien moderner Kunst verletzen zu müssen, blieb dem Fotokünstler nur die Entscheidung, welche Verletzung ihm das kleinere Übel schien. Im Bemühen um bildnerische Autonomie trafen sich illustre Verfechter, wie z.B. die Dadaisten, die Bauhaus-Fotografen um Moholy-Nagy und die Fotokünstler des Surrealismus um Man Ray. Erprobt wurden Techniken wie die Fotocollage, Fotomontage, Doppelbelichtung, Negativdruck, Solarisation, Fotogramm etc.

Wolfgang Ahrens, im März 2016

ABC moderner Fotopraxis

ABC post-moderner Fotopraxis

  1. Der Kamera-Künstler soll seine Bilder finden, nicht er-finden.
  2. An dem einmal als Bildmotiv gewählten Realitätsausschnitt darf er keinerlei Veränderungen vornehmen.
  3. Bei der Aufnahme muss er bemüht sein, die vorgefundenen Dinge möglichst sachlich wiederzugeben, sprich: klar und scharf und ebenso form- wie detailgetreu.
  4. In der Dunkelkammer sind keine Manipulationen am belichteten Negativ erlaubt.
  5. Die Abzüge sollen von höchster handwerklicher Perfektion sein und eine möglichst reiche Skala von Grauwerten aufweisen. Auch an den Abzügen sind keinerlei Manipulationen erlaubt.
  6. Die kreative Leistung des Kamera-Künstlers besteht in der Wahl des Motivs und seiner fotogerechten Wiedergabe durch die Bestimmung von Bildausschnitt, Brennweite und Belichtungszeit. Alles Schielen auf malerische oder grafische Effekte mindert den Realismus des Lichtbildes und ist daher zu unterlassen.
  1. Der Foto-Künstler muss seine Bilder schon er-finden, besser fabrizieren, das bloße Finden reicht nicht mehr.
  2. Welchen Weg er dabei verfolgt, ist ihm freigestellt. Entweder macht er sich die Mühe, seine Sujets vor der Kamera zu arrangieren, konstruieren und inszenieren. Oder er bedient sich Bilder anderer als Ausgangsmaterial für seine eigenen.
  3. Jede Aufnahmetechnik ist zulässig; sie ergibt sich aus den jeweiligen Absichten des betreffenden Künstlers.
  4. Jede Manipulation von Negativ und Abzug ist nicht nur erlaubt, sondern willkommen. Je einfallsreicher sie ausfallen, desto besser.
  5. Handwerkliche Finesse beim Herstellen von Negativ und Abzug ist geduldet, aber kein zwingender Maßstab für die Qualität einer Arbeit. Auch demonstrativer technischer Dilettantismus kann eine erfolgreiche Bildstrategie sein.
  6. Die kreative Leistung des Foto-Künstlers bemisst sich nach seiner Fähigkeit, den traditionellen Anspruch des Kamera-Bildes auf Wahrheit, Objektivität und Realismus zu untergraben. Und ihm dafür den Charakter eines autonomen Bild-Objekts zu geben.

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